Gesellschaft

Warum nicht alle Bürgergeldempfänger arbeitslos sind

Erstmals seit 2015 lag die Arbeitslosenzahl im Sommer wieder bei über drei Millionen. Online gibt es daran Zweifel: Mit den Bürgergeldempfängern sei die Arbeitslosenzahl eigentlich viel höher, heißt es. Warum diese Erklärung nicht aufgeht.

von Paulina Thom

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Beiträge in Sozialen Netzwerken zählen alle Bürgergeldberechtigten als Arbeitslose – wir erklären warum diese Rechnung nicht aufgeht (Symbolbild: Jens Kalsene / DPA / Picture Alliance)

Ende August meldete die Bundesagentur für Arbeit, dass die Zahl der Arbeitslosen über der 3-Millionen-Marke lag – das war zuletzt im Februar 2015 der Fall. In Sozialen Netzwerken behaupten einige jedoch, die Zahl sei viel höher: „Aktuell sind in Deutschland mehr als 9,2 Millionen Menschen arbeitslos und alle faseln vom Fachkräftemangel“, schrieb zum Beispiel Ende August ein X-Nutzer, und zählte damit gleich alle Bürgergeldbeziehenden und Asylbewerbenden als Arbeitslose mit. Ähnliche Behauptungen verbreiten sich auch auf Telegram.

Kritik an der Erfassung der Arbeitslosenzahl kommt zwar immer mal wieder auf, doch die Beiträge sind irreführend. Sie werfen Zahlen aus unterschiedlichen Statistiken zusammen. Wir erklären, wer als arbeitslos zählt, wie die Statistik dabei Bürgergeldbeziehende einbezieht und warum Stellen unbesetzt bleiben können.

Ein Telegram-Beitrag mit der falschen Behauptung
Anders als in diesem Beitrag behauptet, sind die arbeitslosen Bürgergeldempfänger in der Arbeitslosenzahl von drei Millionen Menschen bereits enthalten (Quelle: Telegram / Tagesschau; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Als arbeitslos gilt unter anderem, wer keine Arbeit hat oder weniger als 15 Stunden die Woche arbeitet

Wer als arbeitslos gilt, ist gesetzlich festgelegt. Dazu zählen alle Personen, die keine Arbeit haben oder weniger als 15 Stunden pro Woche arbeiten, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung suchen und für einen Job durch Vermittlung der Arbeitsagenturen sofort verfügbar sind. Zudem müssen sich die Betroffenen arbeitssuchend gemeldet haben und mindestens 15 Jahre alt sein.

Nicht als arbeitslos gelten Schüler und Studenten, auch wenn sie im erwerbsfähigen Alter sind. Wer Angehörige pflegt, Kinder erzieht oder krank ist, zählt ebenfalls nicht als arbeitslos.

Diese Definition ändert sich gelegentlich. Im Zuge der Hartz-IV-Reform 2005 wurden zum Beispiel alle erwerbsfähigen Sozialhilfe-Empfänger einbezogen. Damals stiegen die Arbeitslosenzahlen um mehrere Hunderttausend. Wie die Tagesschau hier erklärt, formulierte die Politik die Kriterien aber häufiger so um, dass die Arbeitslosenzahlen offiziell sanken.

Nein, aktuell sind in Deutschland nicht mehr als 9 Millionen Menschen arbeitslos

In Sozialen Netzwerken heißt es, in Deutschland gebe es um die 9 Millionen Arbeitslose. Das X-Profil „Dr. David Lütke“ hat so eine Schätzung im Herbst 2024 und im Sommer 2025 verbreitet. Der Account hat schon öfter Falschinformationen verbreitet, es ist jedoch unklar, wer dahinter steckt – für eine Nachfrage war er nicht erreichbar. Auf die Zahl der vermeintlich 9 Millionen Arbeitslosen kommt der Account so:

  • 3,025 Millionen Bezieher von Arbeitslosengeld
  • 5,55 Millionen Bezieher von Bürgergeld
  • 0,52 Millionen Bezieher von Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz
  • 0,15 Millionen Menschen in Arbeitsmarkt-Maßnahmen
Der X-Beitrag mit der falschen Rechnung zur Arbeitslosenzahl
Diese Rechnung zur Arbeitslosenzahl, die regelmäßig online kursiert, ist falsch (Quelle: X / Tagesschau; Screenshot,: CORRECTIV.Faktencheck)

Diese Auflistung ist jedoch fehlerhaft: Im August waren 3,025 Millionen Menschen arbeitslos, wie der Monatsbericht der Bundesagentur für Arbeit zeigt. Davon erhielten nur etwas mehr als 1 Million Menschen Arbeitslosengeld. Von ihnen waren aber nur 870.000 arbeitslos gemeldet – 150.000 wurden nicht als arbeitslos geführt, weil sie zum Beispiel arbeitsunfähig waren oder an beruflichen Maßnahmen teilnahmen. In der Rechnung werden sie trotzdem mitgezählt.

Rechnung zählt einige Arbeitslose doppelt – und solche, die nicht arbeiten können oder dürfen, noch obendrauf 

Doch nicht nur die Zahl der Arbeitslosen wurde falsch in die Rechnung aufgenommen, auch bei der Zahl der Menschen, die Anspruch auf Bürgergeld haben, geht es durcheinander.

Das Bürgergeld steht denjenigen zu, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen decken können. Es soll ein menschenwürdiges Existenzminimum sichern. In Deutschland gab es im August 5,3 Millionen Leistungsberechtigte, etwa 1,4 Millionen waren nicht erwerbsfähig, darunter vorrangig Kinder (97 Prozent). 3,9 Millionen sind erwerbsfähig, wie Zahlen der Bundesagentur für Arbeit von August zeigen.

Erwerbsfähig bedeutet nicht automatisch arbeitslos

Erwerbsfähig bedeutet aber nicht gleich arbeitslos: Von den 3,9 Millionen Menschen sind 800.000 erwerbstätig, 430.000 gehen zur Schule oder machen eine Ausbildung, 460.000 sind in einer Maßnahme oder machen eine Fortbildung. Weitere 270.000 erziehen Kinder oder pflegen Angehörige (Download, Tabellenblatt 2.2).

Unter den 800.000 erwerbstätigen Leistungsberechtigten gibt es dennoch Menschen, die arbeitslos gemeldet sind, weil sie weniger als 15 Stunden die Woche arbeiten. Laut der Bundesagentur für Arbeit ist das auf Nachfrage statistisch nicht auswertbar, müsste aber etwa 200.000 Menschen betreffen.

Anders als in der Rechnung dargestellt, waren daher im August rund 1,8 Millionen Bürgergeld-Empfangende arbeitslos und hätten einen Job annehmen können. Wichtig ist: Die Zahl der arbeitslosen Bürgergeldempfänger ist in der Arbeitslosenzahl von mehr als 3 Millionen schon enthalten.

Ebenfalls enthalten sind hunderttausend arbeitslose Menschen, die weder Arbeitslosengeld noch Bürgergeld beziehen. Das sind Menschen, die dem Sozialgesetzbuch nach nicht hilfebedürftig sind oder keinen Anspruch (mehr) auf die Leistungen haben. Laut Bericht von August waren das 374.000 Menschen.

Nicht alle Asylbewerber dürfen arbeiten 

Als nächstes werden in der Rechnung im X-Beitrag 520.000 Menschen zu den Arbeitslosen gezählt, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen. Doch das ist ebenfalls so nicht zulässig.

Asylbewerberleistungen erhielten laut dem Statistischen Bundesamt Ende 2024 rund 460.000 Menschen. Allerdings dürfen manche von ihnen gar nicht arbeiten, andere erst nach bestimmten Fristen. Wer eine Arbeitserlaubnis erhält, dessen Einkommen wird dann auf die Asylbewerberleistung angerechnet oder diese fällt weg. Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit zeigt (Tabellenblatt 2): Etwa 40.000 Asylbewerber mit Aufenthaltsgestattung waren im August arbeitslos gemeldet – auch diese Zahl fließt ohnehin in die Arbeitslosenstatistik ein. Also nicht mal ein Zehntel der Anzahl in der Rechnung auf X.

Nicht alle arbeitslosen Bürgergeldbeziehenden können unmittelbar arbeiten

Zuvor hatten wir geschrieben, dass 1,8 Millionen Bürgergeldbeziehende arbeitslos sind und einen Job annehmen können. Doch so einfach ist es nicht.

Von den 631.000 Arbeitsstellen, die bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet waren, sind die meisten im Verkauf, gefolgt von Verkehr- und Logistikberufen und medizinischen Gesundheitsberufen ausgeschrieben. Wie die Bundesagentur für Arbeit in einem Bericht aus 2024 erklärt und uns auf Nachfrage schreibt, richtet sich mit etwa 80 Prozent ein Großteil der Stellen an Fachkräfte. Demgegenüber suche die Hälfte der arbeitslosen Bürgergeldbeziehenden jedoch eine Stelle auf Helferniveau.

Nicht alle Arbeitgeber melden offene Stellen der Bundesagentur für Arbeit. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geht im zweiten Quartal 2025 von insgesamt rund einer Million offener Arbeitsstellen deutschlandweit aus. So oder so gibt es also weniger offene Stellen als arbeitslose Menschen.

Fast 90 Prozent der arbeitslosen Bürgergeldbeziehenden gehören laut Bundesagentur für Arbeit zu besonders förderungsbedürftigen Personengruppen, wie Langzeitarbeitlose, Schwerbehinderte oder Personen ohne Berufsausbildung. Knapp die Hälfte der Arbeitslosen im Bürgergeld weist sogar mehrere solcher Merkmale auf.

Redigatur: Sarah Thust, Kimberly Nicolaus, Matthias Bau

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt, Bundesagentur für Arbeit, August 2025: Link (PDF, archiviert)
  • Aktuelle Zahlen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), Bundesagentur für Arbeit, August 2025: Link (archiviert)
  • Video „Bürgergeldbezug und Arbeitslosigkeit“, Bundesagentur für Arbeit, Link (archiviert)
  • Gemeldete Stellen: Top Ten der Berufe, Bundesagentur für Arbeit, August 2025: Link
  • Presseinformation des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Stellenerhebung, 04. September 2025: Link (archiviert)
  • Bericht „Arbeits- und Fachkräftemangel trotz Arbeitslosigkeit“, Bundesagentur für Arbeit, März 2024: Link (archiviert)

 

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